Fliegen ohne Motor, dazu noch über Stunden und über hunderte von Kilometern, erscheint dem unbedarften Laien zunächst unmöglich. Wie kann man ohne Motor oben bleiben? Dazu ein paar kurze, erklärende Worte.
Stellen Sie sich ein Fahrrad ohne Tretkurbel, Kette und Kettenräder vor. Wie können Sie mit einem solchen Fahrrad trotzdem fahren? Die Antwort ist ganz einfach: Sie können bergab rollen. Die Hangabtriebskraft, das ist der Anteil des Gewichtes in Richtung der geneigten Fahrbahn, wirkt als Vortriebskraft. Solange diese Vortriebskraft bei ausreichend steiler Fahrbahn größer als Roll- und Luftwiderstand ist, werden Sie sogar immer schneller. Wenn Roll- und Luftwiderstand genauso groß wie die vorwärts treibende Hangabtriebskraft sind, behalten Sie eine konstante Geschwindigkeit bei, und wenn die Hangabtriebskraft auf ebener Strecke zu Null wird, bleiben Sie irgendwann stehen.
Nicht viel anders ist es bei einem Segelflugzeug.
Der Widerstand beim Flug (roter Pfeil) kann durch die Hangabtriebskraft (blauer Pfeil) überwunden werden.
Wird die Flugbahn steiler nimmt die Hangabtriebskraft zu und wird größer als der Widerstand. Dann beschleunigt das Flugzeug auf eine höhere Geschwindigkeit bis auch der Widerstand so weit angestigen ist, dass beide Kräfte wieder im Gleichgewicht stehen.
Wird die Flugbahn flacher nimmt die Hangabtriebskraft ab und wird kleiner als der Widerstand. Dann wird das Flugzeug langsamer bis hin zur Mindestgeschwindigkeit, die nicht unterschritten werden kann.
Die Fluggeschwindigkeit (schwarzer Pfeil) teilt sich in die Vorwärtsgeschwindigkeit (grüner Pfeil) und die Sinkgeschwindigkeit (roter Pfeil) auf.
Das Verhältnis der beiden Geschwindigkeiten wird durch die Gleitflugpolare wiedergegeben. Eine typische Gleitflugpolare sieht folgendermaßen aus.
Legt man eine horizontale Tangente an die Polare findet man die geringste mögliche Sinkgeschwindigkeit und darüber die dazugehörige Fluggeschwindigkeit (rote Pfeile).
Legt man eine Tangente aus dem Ursprung an die Polare findet man den besten Gleitwinkel und ebenfalls darüber die dazu gehörende Fluggeschwindigkeit (blaue Pfeile).
Findet man beim Segelfliegen nun Aufwindgebiete (blauer Pfeil), in denen die Luft schneller aufsteigt als das Flugzeug sinkt (roter Pfeil), gewinnt man Höhe (grüner Pfeil).
Solche Aufwindgebiete finden sich entweder als Hangwind an Hindernissen, wenn der Wind gegen einen Hügel oder Berg strömt, oder als thermische Aufwinde, wenn die Sonne ein Luftpaket erwärmt und es dann aufsteigt.
Die in einem Aufwind gewonnene Höhe kann man dann abgleiten und „Strecke machen“. Erreicht man ein neues Aufwindgebiet wird wieder Höhe gewonnen, die man dann wieder abgleiten kann. Um ausreichend Höhe zu gewinnen, muss man meistens in einen Aufwind einfliegen und dort kreisen, die Segelflieger nennen das „Thermikkurbeln“.
Neben dieser klassischen Methode (Kurbeln und Abgleiten) gibt es noch die „Delphinflugmethode“, bei der man entweder unter einzelnen Wolken oder unter Wolkenstraßen immer dann, wenn es „zieht“, langsam fliegt und ohne einzukurven das Steigen mitnimmt, nach Verlassen des Aufwindes aber wieder schnell vorwärts weiterfliegt. Auch dabei verliert unter dem Strich Höhe, muss aber erst nach dem Durchfliegen mehrerer Aufwinde durch Kurbeln „Höhe tanken“. Die erreichbaren Durchschnittsgeschwindigkeiten sind dabei natürlich deutlich höher.
Die dargestellten Methoden treten in der wirklichen Atmosphäre natürlich nur selten so schulbuchmäßig auf. Aufwinde sind nicht immer durch Schönwetter- oder Schäfchenwolken markiert, man redet dann von „Blauthermik“. Die Kunst des Streckensegelfluges besteht darin, an der Form der Erdoberfläche und an dem Aussehen der Wolken, wenn sie sich denn bilden, die Stellen, an denen Aufwinde entstehen, zu erkennen, ihre Stärke richtig einzuschätzen, und das Flugzeug so zu fliegen, dass der beste Höhen- oder Streckengewinn erzielt werden kann. Dazu kommt der „Tagesgang der Thermik“. Früh am Morgen ist die Atmosphäre noch „tot“.Erst am späten Vormittag, wenn die Sonne schon hoch am Himmel steht, reicht die Einstrahlung aus, um „Konvektion“, also vertikale Luftbewegung, auszulösen. Und irgendwann am frühen Abend endet die Thermik, oder eine abschirmende Wolkendecke behindert die Sonneneinstrahlung. da heisst es, rechtzeitig wieder „am Platz zu Hause“ zu sein. Feuchtegehalt der Luft, Oberflächenstruktur und Windverhältnisse bestimmen, ob Thermik gering, mäßig oder gar gut ist. Manchmal sind die Aufwindschläuche, die „Bärte“, eng, manchmal weit und manchmal zerrissen. manchmal sind sie schön rund, manchmal quält man sich, den Kern zu finden und zu halten, denn dort ist das Steigen am größten. Beim Kurbeln ist der Körper durch die Fliehkräfte des engen Kurvenfluges zusätzlich belastet, die Flughöhe mindert den Sauerstoffpartialdruck der Luft, und die Enge und intensive Sonneneinstrahlung im Cockpit steigern die körperliche Belastung zusätzlich. Segelfliegen erfordert hohe Konzentration auf die Thermik, das Fliegen des Flugzeuges und die Navigation. Dazu kommt gelegentlich die Anspannung, wenn Aufwinde nicht rechtzeitig gefunden werden, und eine Außenlandung auf einem Feld oder einer Wiese droht. dann heisst es warten, bis die Rückholmannschaft mit Auto und Anhänger eintrifft, und manchmal ist ein schöner Flugtag viel zu früh zu Ende und damit verloren.
Aber wenn einem ein langer Streckenflug gelingt, weil man die eigenen Möglichkeiten, die des Wetters und die des Flugzeuges richtig eingeschätzt hat, wenn man dann am späten Nachmittag zum Ausgangsflugplatz zurückkehrt, dann stellt sich mit der Erschöpfung ein gefühl höchsten Glückes und tiefster Zufriedenheit ein. Man hat der Atmosphäre etwas abgerungen, was bei oberflächlicher Betrachtung zunächst unmöglich erscheint.
Und das macht Spaß !!!