Der Winter 2023 / 2024 war fliegerisch nicht so ergiebig, insbesondere das Hochwasser zum Jahresanfang hat die Flugplätze an der Weser für mehrere Wochen unbenutzbar gemacht. Aber Mitte Februar zeichnete sich eine Wendung zum Besseren ab. Einige Tage vorher war absehbar, dass sich Freitag, der 23.02., zum Hangfliegen sehr gut eignen würde.
Also wurden alle scheu gemacht, und um 10.38 Uhr zog Ralf mit der TQ an, und nur drei Minuten später klinkte ich das Schleppseil aus. Wie immer flog ich zunächst am Wiehengebirge nach Westen, um für den Ausgangspunkt zum ersten Schenkel weit auszuholen. Der Wind wehte aus Süden, und damit wurde auch der westlichste Teil des Wiehengebirges, der bis nördlich Melle reicht, zum Hangfliegen nutzbar. In diese Ecke kommt man eher selten, und deswegen sind meine Ortskenntnisse dort nicht so ausgeprägt wie an anderen Stellen. Ich tastete mich also vorsichtig voran, bis der Hang tatsächlich ganz zu Ende war. Nach der Wende gen Osten fingen Uhr und Kilometerzähler dann an, zu ticken. Der Flug am Hang erst des Wiehen- und dann nach dem Überqueren der Weser des Wesergebirges verlief völlig problemlos, bis – wie immer – zum Süntel. Der Süntel ist der letzte Erdklumpen vor der 10 km breiten Lücke bis zum Ith. Und wie fast immer war es nicht einfach, hier die notwendige Höhe zu erklimmen, um bis zum Ith zu kommen. Bei Windstille reichen mit dem Discus 650 m, um drüben angekommen wieder Anschluss zu finden. Da ich aber auf dem Weg hinüber etwas Gegenwind haben würde, entschloss ich mich, alles an Höhe mitzunehmen, was ich irgendwie ergattern könnte. Mit 720 m über NN setzte ich zum Sprung an. Die Grundgeschwindigkeit war mit 80 km/h nicht sonderlich hoch, der Gleitwinkel über Grund eher mau. Und der Ith wuchs vor meinen Augen immer höher. Hinzu kam, dass ich am ersten Teil des Ith, auf den der Südwind im spitzen Winkel auftraf, nicht gleich guten Hangwind antreffen würde. Und wenn man tief ankommt, steigt der Hang ja auch erst allmählich an, wodurch die Vertikalkomponente auch nur schwach ausfällt. Heieiei, war das knapp. Ich hatte gerade noch 200 m über der vorgelagerten flachen Ebene und musste ganz nah an den Hang, um die geringe Höhe überhaupt erstmal halten zu können. Das Fahrwerk hatte ich schon ausgefahren, denn wenn ich auf einen der dort sehr zahlreichen geeigneten Äcker gemusst hätte, dann hätte alles schnell gehen müssen. Das ist ein Beispiel dafür, wie man beim Fliegen immer wieder abwägen muss. Natürlich ist es hinderlich, wenn man um jeden Meter Höhe kämpft und das Fahrwerk ausgefahren ist und damit den Widerstand erhöht, aber wenn es schnell gehen muss mit der Auswahl eines Landefeldes, dann ist es gut, wenn das Rad schon draußen ist. Die ersten Steigwerte waren größer gleich Null, aber mit jedem Meter, den ich nach Südosten vorankam, wurde der Windwinkel gegen den Hang stumpfer, und mit jedem Meter, den ich höher kam, wurden die Flanken steiler. Im Grunde bin ich ein paar Kilometer lang im Queranflug zu irgendeinem Feld gewesen. Wenn mich jemand fragen würde, ob ich in der Phase noch geatmet oder nur die Luft angehalten habe, könnte ich das nicht beantworten. Ich weiß nur, wie sehr ich durchgeatmet habe, als ich endlich wieder in Kammhöhe flog. Dann ging es zügig weiter Richtung Flugplatz Ithwiesen, und ich hatte Funkkontakt mit einem Kameraden, der in Hattorf-Aue gestartet war und aus 3.000 m Höhe in der Welle über Northeim grüßte. Am Ostende des Ith konnte ich die Stelle, an der er in die Welle eingestiegen war, gut erkennen, aber aus 600 m gegen den Wind lag der Punkt genauso weit entfernt wie der Südpol – keine Chance. Also entschied ich mich, nicht auf Höhe, sondern auf Strecke zu fliegen. Ziemlich genau vor vier Jahren war mir bei ähnlicher Wetterlage nämlich ein Flug über 627 km gelungen, und das war ab jetzt die Messlatte. Ich flog noch ein Stück über das Ostende des Ith hinaus, um jeden Meter mitzunehmen und wendete nach Westen. Jetzt ging es mit einer deutlichen Rückenwindkomponente recht zügig voran, aber vom Startpunkt bis zur ersten Wende hatte es schon ziemlich lange gedauert, so dass jetzt schon absehbar war, dass es mit 600 + km vor Sonnenuntergang knapp werden würde. Der Sprung rüber zum Süntel jetzt mit etwas Rückenwind war kein großes Ding, und dann ging es zügig über 40 Minuten immer geradeaus wieder bis zum Ende des Wiehengebirges. Für den zweiten Sprung zum Ith hatte ich mir vorgenommen, die „Schaumburgwelle“ zu nutzen, wenn sie denn stünde, um mit großer Höhe bequem zum Ith zu kommen. Ich flog also von der Schaumburg Richtung Hessisch Oldendorf, wo sie steht, wenn sie denn steht. Das war aber eine Fehleinschätzung, und als ich mit Rückenwind an den Hang zurückgeflogen war, hatte ich wertvolle Zeit und Höhe verloren, also musste ich mich am Süntel wieder quälen, um die für die Querung nötige Höhe zu erreichen. So knapp wie beim ersten Mal musste es wirklich nicht mehr werden, und mit 780 Metern hatte ich eine etwas bessere Abflughöhe. Ich kam dann auch ganz gut hinüber, und der Flug entlang des Ith war dann eine „aktive Pause“. Der Kamerad „Wellensittich“ war inzwischen gegen den Wind zur nächsten Welle geflogen und grüßte aus der Gegend um Witzenhausen. Ich wendete wieder so östlich wie eben möglich und sauste jetzt – die Zeit im Nacken – wieder gen Westen. Dabei sah ich, wie auch schon vorher, Schwärme von Zugvögeln gen Norden fliegen – der Frühling lässt grüßen. Ob es Kraniche oder Störche waren, konnte ich nicht erkennen, die Kameraden waren viel höher als ich.
Der dritte Sprung zum Ith war dann wieder alles andere als ein Kinderspiel, und die Ankunftshöhe war alles andere als komfortabel. Nur die Erfahrung der ersten Runde gab mir Zuversicht, wieder auf Höhe zu kommen. Ich flog dann recht nah an der Hangkante, wo man schneller vorankommt, aber auch wegen der Nähe zur Kante und der höheren Fluggeschwindigkeit kräftig durchgeschüttelt wird. Man muss sich da schon fest anschnallen, um sich nicht dauernd den Kopf an der Haube zu stoßen. Und bei der Turbulenz einen Apfel zu essen und ohne Kleckern zu trinken ist auch nicht so ganz einfach. Bei der letzten Wende hatte ich noch eine Stunde und elf Minuten bis zum Sonnenuntergang, und ich überlegte mir, nicht mehr am Flugplatz Porta vorbeizufliegen und mich mit knapp 600 km zufrieden zu geben. Als ich dann über die Weser nach Westen flog, fragte ich bei Porta Radio an, wie lange der Türmer denn bleiben würde. Die Antwort war beruhigend und sehr kameradschaftlich zugleich. „Flieg Deine Runde zu Ende, ich bleibe bis zum Ende der bürgerlichen Dämmerung und schalte Dir auch die Pistenbeleuchtung an, wenn Du willst!“ Also weiter. Ganz so weit nach Westen bin ich dann aber nicht mehr geflogen und habe ein paar Kilometer früher gewendet, womit der km-Zähler dann quasi gestoppt wurde. Jetzt ging es nur noch darum, sicher nach Hause zu kommen. Ich flog also etwas langsamer und höher, denn der Wind machte auch langsam schlapp. Jetzt noch auf den Acker zu müssen wäre schade und wegen des damit verbundenen Aufwandes auch sehr mühsam. Auf einem weichen Acker im Dunkeln abrüsten – das braucht kein Mensch. Es hat gereicht, und ich landete drei Minuten nach Sonnenuntergang auf der Asphaltpiste 23 mit eingeschalteter Festbeleuchtung und konnte die Bahn auch über den mittleren Abrollweg fast im 90° Winkel verlassen.
Der Rest war Routine, das Einhallen ging flink vonstatten, und dann kam der spannende Moment. Mikro SD Karte einstecken, einlesen und dann am Laptop auslesen. Und – es war gelungen, meine bisherige Bestleistung zu überbieten. 635,9 km! Wie ein Kamerad anmerkte – Porta ausgereizt. Jo, drei oder vier km mehr sind vielleicht noch drin, aber mehr geht dann wirklich nicht. Trotzdem werde ich es irgendwann einmal wieder versuchen, denn man treibt ja Sport, um zu gewinnen und sich zu verbessern. Und Sport war das in der Tat. Sieben Stunden und siebzehn Minuten wie eine Ölsardine im engen Cockpit. Kaum Bewegungsfreiheit, trotz der Thermosohlen kalte Füße, und auch sonst kalt, zwischendurch Essen und Trinken und …. Die Wetterentwicklung aufmerksam verfolgen, die Zeit im Auge behalten, den Luftraum beobachten, ununterbrochen Turbulenz ertragen und fortlaufend Entscheidungen treffen – da ist man völlig platt, wenn man sich nach der Landung aus dem Rumpf schält. Aber auch glücklich.
Ich habe es schon oft gesagt, aber die Gesamtgemengelage macht’s. Täglich die Wetterentwicklung im Auge haben, den richtigen Tag erkennen, den Schlepppiloten anbetteln, zur rechten Zeit da und bereit sein und dann durchhalten, auch wenn es mal fast zur Außenlandung kommt. Und es zu Ende bringen.
Wenn es dann vollbracht ist, kommt die Erschöpfung, aber auch das Glücksgefühl. Man denkt dann nur eines – wann geht es weiter? Ich bekomme davon jedenfalls nicht genug. Jeder Flug ist anders. Es ist herrlich, das Wetter, seine eigene Leistungsfähigkeit, die des Flugzeuges und das Umfeld richtig eingeschätzt und aus den Gesamtbedingungen das Maximum herausgequetscht zu haben. Das ist Sport, und an dem Tag war es vielleicht auch schon Leistungssport.
Am Ende hat sich auch noch ergeben, dass das am 23. Februar 2024 der weiteste Segelflug auf diesem Globus war. Das Segelflugportal im Internet macht es möglich, das spätestens am nächsten Morgen, wenn auch die Flüge in Südafrika und vor allem in Südamerika hochgeladen sind, zu erfahren. Dafür macht man es nicht, sondern für das unvergleichliche Erlebnis. Aber den Tagessieg davonzutragen, tut auch nicht weh.
Es ist für mich zutiefst befriedigend, soviel über Wetter, Flugmechanik und mich selbst zu wissen, dass ich es geschafft habe, ohne Motor 635 km weit zu fliegen. Und auch, wenn ich damit noch weit von der Ersten Liga des Streckensegelfluges entfernt bin, ich habe gegen mich selbst einen Sieg errungen – das reicht – für dieses Mal – und ein nächstes Mal kommt ganz sicher.
Nichts ist so schön wie ein Flieger zu sein!