soweit die Flügel tragen ...
….ist geklaut, denn eigentlich heißt der Roman „Soweit die Füße tragen“ und erzählt die Geschichte von Oberleutnant Clemens Forell, der im äußersten Zipfel Ostsibiriens aus einem Kriegsgefangenenlager ausbricht und sich zu Fuß über drei Jahre auf den Weg nach Persien macht, von wo er dann endlich wieder nach Hause kommt.
Ohne respektlos sein zu wollen, finde ich „Soweit die Flügel tragen“ aber passend, um einen langgehegten Wunsch zu beschreiben, einfach mal so weit zu fliegen, wie es an einem Tag eben geht. Vorbild ist natürlich der Flug von Hans-Werner Große vom 25. April 1972 von Lübeck nach Biarritz über 1.461 km – ohne Ambitionen, es „HW“ auch nur annähernd gleich zu tun (tun zu können). Noch heute kann man sich nur ehrfürchtig vor diesem Mann und dieser Leistung verbeugen.
Aber beim Segelfliegen, speziell beim Streckensegelfliegen kann man sich eben auch mit sich selbst messen, und mein bisher längster Flug in der Thermik führte mich über 543 km, ohne dabei wirklich vom Fleck zu kommen, will sagen, dass ich am Startort wieder landete, was immer auch eine Vorfestlegung bedeutet: wie plane ich meine Strecke so, dass ich wieder zum Startort zurückkehre? Der „freie Flug“ hingegen lässt das Ende offen. Fliegen unter Ausnutzung der Wetterlage so weit und so lang wie es eben geht.
Und ein solcher Tag deutete sich am Mittwoch, dem 29. März an. Die Vorhersagekarte für Montag, den 03. April sagte ein Hochdruckgebiet mit Kern über Südnorwegen voraus, das kalte Luft aus dem Ostseeraum nach Deutschland lenken würde. Kalte Luft in kräftiger Frühlingssonne, die sich von See kommend über dem Festland sofort erwärmen, aufsteigen und Cumuli bilden würde, dazu Nordostwind, der einen weit nach Südwesten schieben, vielleicht sogar Wolkenstraßen bilden würde, das war die Hoffnung, die sich mit jedem Tag mehr und mehr verdichtete. Die Suche nach einem geeigneten Startplatz, einem Schlepppiloten und natürlich auch einem Rückholer begann.
Über den Wolken mag die Freiheit wohl grenzenlos sein, unter den Wolken ist sie es definitiv nicht. Es galt also Streckenführung und damit zumindest den Startort und die Luftraumgliederung zu einem durchführbaren Flugvorhaben zusammen zu bringen.
Ich plante, vom Mecklenburg-Vorpommern aus östlich an Hamburg und Hannover vorbei zunächst auf Südkurs und dann der Windrichtung folgend nach Südwesten Richtung Frankfurt zu fliegen, denn der im Uhrzeigersinn um das erwähnte Hochdruckgebiet wehende Wind würde im Verlaufe des Fluges von einem Nordost- immer mehr zu einem Ostwind werden. Als geeigneten Startplatz machte ich Grube in Ostholstein aus und fand auch einen ehemaligen Kapitänskollegen, der mich am erwählten Tag per Flugzeugschlepp in die Luft bringen würde. Meine liebe Astrid fand sich bereit, mit dem Auto und dem Flugzeuganhänger hinterher zu fahren – nicht gerade die spannendste Beschäftigung, die sich finden lässt.
Zunächst wollte ich meine heißgeliebte K6 für den Flug einsetzen, aber da das Ziel nicht bestimmbar war und damit auch nicht klar, ob sich ein paar kräftige Kerls für das Abrüsten vielleicht auf einem Acker würden finden lassen, entschied ich mich doch für den Discus, den ich zur Not alleine abrüsten kann.
Nach letzten Abwägungen am 02. April (unserem 39. Hochzeitstag) stand mein Entschluss fest – am 03. April, morgens gegen 10 Uhr sollte es losgehen. Der Schlepppilot befand den Flugplatz Grube als trocken genug, um einen Schleppstart durchzuführen, alle Vorhersagekarten für den Montag deuteten auf ein Gelingen hin, und so war das Schleppseil um 10.30 Uhr straff – die Reise begann.
Ich ließ mich zunächst entlang der Küste bis Grömitz schleppen und dann über die Lübecker Bucht Richtung Boltenhagen. Schon nach ein oder zwei Minuten funkte ich meinen Schlepper an „Du, dat ward wat!“, denn die kalte Luft blubberte schon. Als ich über Mecklenburg in 1.500 m Höhe ausklinkte, waren wir schon lange über den Cumuli, die sich wie erhofft gebildet hatten. Ich flog also zunächst in nordöstlicher Richtung, um für den Flug nach Südwesten weit auszuholen. Allmählich sank ich unter die Wolkenbasis, die sich hier in nur 800 m Höhe befand und testete die Thermik. Hochzufrieden stellte ich fest, dass sich schon Steigwerte um 1 m/s einstellten, wenn man sich entwickelnde Cumuli anflog. Ich agierte zunächst sehr vorsichtig, denn der Wind trieb mich ja, wenn ich unter einer Wolke „parkte“ , in die gewünschte Richtung. Es ging unter den lose verstreuten Cumuli zunächst nach Süden, weit östlich an Lübeck und ein wenig westlich an Schwerin vorbei, wo ich mich auch schon einmal nach einem Außenlandefeld umsehen musste. Meiner Astrid hatte ich gesagt, sie möge losfahren, sobald ich in der Luft sei, ich würde garantiert nicht wieder in Grube landen. Weiter ging es bei langsam ansteigender Wolkenbasis in Richtung Elbe, dann über Lüchow und Dannenberg Richtung Salzwedel. Hier hatten sich die Wolkenstraßen wie erhofft ausgebildet, aber ich konnte ihnen noch nicht folgen, da mich der Weg dann mitten durch den Luftraum um den Flughafen Hannover geführt hätte, und der ist tabu. Also flog ich unter einer Wolkenstraße Richtung Südwest und ließ mich emporziehen, bevor ich dann im fast rechten Winkel zur nächsten weiter südlich gelegenen Straße sprang, die ich dann stets mit gehörigem Höhenverlust erreichen konnte. Die Wolkenbasis lag aber immer noch bei nur 1.200 m, und deswegen durfte bei einem solchen Sprung nicht viel schief gehen. Wenn man nämlich einmal zu tief kommt, kann es sein, dass der frische Wind, so erwünscht er auch war, dann aber die Thermik tief unten zerreißt und damit kaum nutzbar macht. Östlich von Braunschweig, ungefähr auf der verlängerten Anfluggrundlinie der Piste 27 wäre mir das dann auch beinah passiert, ich fand mich plötzlich in nur 500 m Höhe wieder. Aber der erste Bart unter der Straße brachte mir über 2 m/s Steigen, und nachdem ich 300 m Höhe gewonnen hatte, folgte ich der Wolkenstraße nun nach Südwesten mit konstantem Steigen im Geradeausflug. Sie würde mich über die westlichen Ausläufer des Harzes hinwegführen, und ich ließ es einfach laufen. Immer geradeaus und hinterm Horizont geht’s weiter! Ich näherte mich dem „Flughafen“ Kassel, der dreistesten Steuergeldverschwendung mit Ansage der Republik, soff fast nochmal ab, überflog die Kontrollzone, die Flugplätze Waldeck, Allendorf-Eder und weiter ging es über Hirzenhain in Richtung Limburg an der Lahn. Meiner Astrid hatte ich übermittelt, sie möge vor Hannover auf die A2 Richtung Ruhrgebiet abzweigen und weiter in Richtung Koblenz fahren, so sicher war ich mir, dass das gelingen würde.
Der Limburger Dom kam in Sicht, rechts unter mir lag der Segelflugplatz Montabaur, wo ich auch gute Bekannte habe, aber es ging weiter.
Der Tag war deutlich fortgeschritten, die Füße trotz Sohlenheizung fast taub vor Kälte, aber ums Herz war mir warm. Die Finger waren in den Fausthandschuhen gerade noch warm genug, um die Karten falten und den Höhenmesser auf den örtlichen Luftdruck einstellen zu können, aber egal – was zählt das alles, wenn es immer weiter voran geht? Die Wolken lösten sich aber immer mehr auf, und es war Zeit für die nächste und letzte taktische Entscheidung. Die Wahl fiel auf Bad Sobernheim als Zielflugplatz, denn dort, am Stützpunkt des Rheinland-Pfälzischen Luftsportverbandes konnte ich mit Freunden, Mannschaft, Essen und einem Bett rechnen. Kurz vor der TMZ des Flughafens Hahn drehte ich nach Süden ab, und war mir kurz darauf ob meiner Entscheidung nicht ganz sicher und musste schon wieder nach geeigneten Landefeldern Ausschau halten – aber auch nach Kondensationen am Himmel. Und auf kalte Luft ist Verlass. Ich fand noch Bärte, die mir Steigwerte über 4 m/s bescherten, flog über den ehemaligen Militärflugplatz Pferdsfeld, wo ich 1988 mit der Ju 52 zum Flugtraining das letzte Mal war, von dort Richtung Bad Sobernheim und zunächst darüber hinaus und dann mit der Überschusshöhe wieder dorthin zurück und landete nach 6:45 h und 607 km auf der Piste 04.
Es ist dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das sich in solchen Momenten einstellt, das man kaum beschreiben kann.
Es fußt auf der tiefen Zufriedenheit, einen solchen Tag im Voraus erkannt und alles organisiert zu haben, zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen, nicht zu spät, aber auch nicht zu früh in die Luft gekommen zu sein, die richtige Streckenführung ausgewählt, und es dann einfach durchgezogen zu haben.
Es speist sich aus den Erlebnissen auf der Strecke, dem Wechselbad der Gefühle zwischen Inaugenscheinnahme von Außenlandefeldern und dem kräftigen Schlag in den Hintern, wenn man einen kräftigen Aufwind findet. Aus den Bildern, die sich unterwegs bieten, aus dem Wechsel der Landschaften, die man erst sieht und dann überfliegt, um sie hinter sich zu lassen.
Aus dem Erleben, etwas vollbracht zu haben, von dem viele Menschen glauben, es ginge gar nicht. Ohne Motor über Stunden hunderte Kilometer weit zu fliegen.
Und beim nächsten Mal fliege ich noch weiter !
die Wetterlage
Am Vortag des Fluges liegt ein Hoch mit Kern über der Mitte Skandinaviens und lenkt Kaltluft vom Eismeer über Finnland und die Ostsee nach Norddeutschland. Diese stößt in der Mitte Deutschlands auf dort vorherrschende wärmere Luft, so dass sich eine (Kalt-)Frontlinie über die Mitte Deutschlands erstreckt.
Diese Luftmassengrenze ist auf dem Satellitenbild deutlich zu erkennen. Südlich einer von Ost nach West verlaufenden Linie durch die Lüneburger Heide ist der Himmel vollständig bewölkt, nördlich davon bilden sich schon phantastische Wolkenstraßen aus, die insbesondere über Mecklenburg-Vorpommern zu erkennen sind.
Auf der Autobahn gen Norden mit dem Flugzeuganhänger im Schlepp sah das dann so aus.
Die Vorhersagekarte für den 03. April macht Hoffnung:
Es würde sich ein eigenständiges Hoch mit Kern über Südnorwegen herausbilden, die kalte Luft würde die in der Südhälfte Deutschlands liegende Warmluft verdrängt haben. Der Wind würde im geplanten Startgebiet aus Nordosten wehen und über der Mitte Deutschlands weiter nach links drehen, so dass es sich anbieten würde, zunächst nach Südwesten und dann nach Westen zu fliegen. Dem steht allerdings die Luftraumstruktur entgegen.
Die Prognose der vertikalen Temperaturschichtung für Lübeck für 1200 UTC am 03. April verheißt kräftige Thermik bis zu etwa 1.000 m Höhe und frische nordöstliche Winde, was zu der Hoffnung Anlass gibt, dass sich Wolkenstraßen bilden.
der Start
Als Startort hatte ich Grube in Holstein auserkoren. Die Gründe dafür:
1. ich hatte dort einen Schlepppiloten gefunden und
2. bei einem Start von Wahlstedt aus hätte ich Hamburg bei niedriger Wolkenbasis umfliegen müssen. Entweder im Osten , dann hätte ich für eine Zeit lang Gegenwind gehabt und wäre bei jedem Kurbeln unter einer Wolke in Richtung auf den Hamburger Luftraum geblasen worden. Oder im Westen, da hätte ich dann die dort schon recht breite Elbe kreuzen müssen und wäre unter Umständen in niedriger Höhe über dem Alten Land angekommen, wo sich nicht so furchtbar viele Außenlandefelder finden lassen.